Brief an das Frauenmuseum Bonn  

Gabriele Münter, Der Blaue Reiter, Ida Kerkovius - Darstellung meiner Arbeit mit Blick auf die Vorfahren

 

Meine Malerei befaßt sich mit zwei großen polaren Themenkomplexen:

1. Die Landschaft im weitesten Sinne.

Begreift man die Landschaft als eine Art von Bühne, so interessieren mich die Akteure, die Bewegung, das Spiel und jede Art von „Verzauberung“.
Zu meinem Werk gehören Vor- Ort- Malereien an den Schauplätzen, die biographisch prägend waren (sind). In diversen Maltechniken sind auf Sylt auch unter extremen Witterungsverhältnissen klein- und großformatige Bilder entstanden.
Sie zeigen keine Abbildung der Landschaft, sondern das in klassisch expressiver Malweise zum Ausdruck gebrachte starke Erleben von Naturgewalten.
Ausdrucksmittel sind die Umsetzung intensiver Farbigkeit und der autonome Einsatz von Linie und Fläche. Die figürliche Darstellung von Mensch und Tier gehört in diesen Komplex. Der Bezug zum äußeren Gegenstand ist sichtbar.

 

2. Die „Innenweltthematik“

In der Landschaftsmalerei ist die Definition von „Raum“ sehr umfassend, das Eindringen, die Tiefe. Wie die Künstler des „Blauen Reiter“ sich für die Grenzen des sinnlichen Erlebens interessierten und über die Synästhesie zur gänzlichen Befreiung der Farbe vom Gegenstand und zum Übersinnlichen fanden, so gilt auch mein Hauptinteresse der Welt „hinter dem Horizont“, dem „inneren“ Gegenstand. Malerei ist für mich dabei ein regelrechtes Forschungsmittel bei der Suche nach dem Menschen. Ansatzweise gelingt mir dabei die Verbindung von Wissenschaft, Religion und Kunst. Die Psychologie des Menschen gehört zum Gebiet der Wissenschaft. Religion im Sinne des Wortes meint nicht Konfession, sondern die Spiritualität einer jeglichen Glaubensrichtung (auch der atheistischen). Dieses große, bisher kaum betretene Gebiet, dessen Erforschung beim „Blauen Reiter“ mit Mitteln der Malerei einen Anfang nahm, interessiert mich brennend.

 

Türme und Klappbilder

Um etwas über den sinnlich- übersinnlichen menschlichen Bezug aussagen zu können, habe ich zu neuen Bildformaten gefunden: Die Türme. Die Horizontale der Landschaft kehrt sich beim Überschreiten des Horizontes in die Vertikale. Meine Turmbilder bestehen aus mehreren übereinander geordneten Einzelkompositionen, die in ihrer Verbindung betrachtet die verschiedenen menschlichen Bewußtseins-ebenen spiegeln. In meinen Klappbildern ( viele durch Scharniere verbundene Bilder ) werden diese Bezüge in einer neuen Komponente dargestellt: Das Bild des Deckels in zusammengeklappter Position gliedert sich in zwei einzelne neue Bilder, welche die seitlichen Abschlüsse der ausgeklappten Position herstellen.

 
In den letzten zehn Jahren habe ich während der Sommersaison in Schweden an der Landschaftsmalerei gearbeitet. Im Rahmen eines Austauschprojektes werden 2006 repräsentative Exponate beider Themenkomplexe in den Kunstämtern Ronnby / Schweden und Berlin Steglitz/ Zehlendorf gezeigt.       Ich freue mich, auf der Suche mit dieser interessanten Thematik in der Nachfolge der großen MeisterInnen des Expressionismus zu arbeiten und auch an meine Vorfahrin, die berühmte Malerin, Ida Kerkovius anzuknüpfen. Sie ist die Cousine meines Großvaters und war Schülerin von Hölzel, als dessen Assistentin auch Lehrerin von Itten und lernte im Bauhaus bei Klee und Kandinsky.  
                    A.S.    Okt. 2005