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Hedonistische
Höhenflüge
Oder die Menschheit
in 5 Etagen
zitiert
und gekürzt nach Dr. Michael Dudley, Sylt
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Zu den bekannteren
Werken der Berliner Künstlerin Anneli Schwager zählen zweifelsohne
die Landschaftsmalereien, die einem die prickelnde Gischt des Wogenpralles
schmecken lassen. Bei Kennern ruft die schiere Erwähnung ihres Namens
pleinairistische Exkursionen um Wanderdünen und Wattwiesen ins Gedächtnis;
man spürt Sand zwischen den Zehen und Muscheln unter den Sohlen.
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Nicht minder imponierend ist dennoch die Reihe, die Schwagers "Türme"
bilden. Hier handelt es sich nicht etwa um Leuchtfeuer an dem nordfriesischen
Gestade, sondern um Motive, die eher die Stadtprofile von Spree-Athen
und Mainhattan prägen.
Es sind Montagen, vielmehr Etagen, bedächtig übereinander aufgestapelt.
Obschon thematisch breitgefächert, jedweder Turm spielt in seiner
Weise auf die gewagte Überbrückung von Himmel und Erde an. Freilich
hegt Frau Schwager höhere Ansprüche, als sich nur auf eine Allegorie
aus der Antike stützen zu wollen. Für sie, eine unverbesserliche
Grenzgängerin, ist der Turm ein Ausgangspunkt dafür, nach dem
Fundament unserer Illusionen zu erforschen, und zwar unter kontemporären
Gesichtspunkten. Währenddessen beweist sie eine Vertrautheit mit
der Architektur der Metropolen und mit der Anatomie der Menschenseele.
"Der Mensch", so heißt der Turm, in dem diese Intimität
besonders stimulierend zur Geltung kommt. Schwagers Erdensohn setzt sich
aus fünf Acryl-Bildern, jeweils 20 x 20 cm groß, methodisch
zusammen. Inmitten seiner hedonistischen Höhenflüge wird das
Titelsujet dargestellt -oder besser gesagt - in flagranti erwischt. Das
emporragende Gebilde kratzt die Wolken, kitzelt aber darüber hinaus
ein benetztes Gestrüpp, in dem Unschuld und noch ältere Urtriebe
aufeinander stoßen. Unterdessen fällt es dem Beobachter auf,
daß sich Schwager nicht damit begnügen will, den Turm lediglich
als phallisches Phänomen zu präsentieren. Grazile, lüsterne
Säulen entsprießen dem Boden Babylons. Parallel laufend ragen
sie ins ambrosische Gefilde hinauf, wo sie schaukelnd ineinander münden.
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Nach Ansichten dieses
Beobachters liegt es nicht im Bereich des Möglichen, eine jugendfreie
Exegese von Schwagers Schöpfung zu liefern. Die Dame kennt die Stationen,
die man auf der Gratwanderung zwischen Nirwana und Nirgendwo durchmacht.
Sie ahnt die verzweifelte Wohllust, die einer ebenda empfindet, und sie
gibt diese Sensation hemmungslos weiter. Wir spüren mit ihr das pochende
Herz des Vulkantänzers, der auf den letzten Tango wartet. Doch sie
holt auch uns aus der Passivität. Kehren wir dieses Gebäude
um 90 Grad auf die linke Seite, gewahren wir mit jähem Entsetzen
die erigierten Augen, die weder eine Hutkrempe noch eine Brille verbergen
kann. Somit schenkt sie uns ein Rendezvous mit dem Voyeur in unserem Spiegel,
und spätestens nun befinden wir uns mittenmang in diesem bunten Treiben.
Es wäre gleichwohl ungerecht, Schwager als Schocktherapeutin zu charakterisieren.
Sie nimmt die Konsumgesellschaft und das Kommunikationszeitalter zwar
argwöhnisch unter die Lupe, aber sie forciert keine Antworten, sondern
nur das aktive Nachdenken. Sowohl ihre Pinselführung als auch die
Philosophie, die dahinter steckt, verleihen uns einen Rahmen, in dem unsere
Fantasien und unsere Furchte simultan mitmischen können. (
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Ihr Talent, die Vergänglichkeit zu verewigen, sticht hervor. Sie
koloriert zudem mit Gelb und kokettiert mit der Utopie. Andererseits demonstriert
sie durchaus expressionistische Tendenzen, namentlich das inhärente
Pathos und eine mystisch umwobene Melancholie. Vermöge der Synthese
solch gegensätzlicher Eigenschaften beschert uns die Gelegenheit,
unsere existentiellen Ängste, die Wurzeln des Fortpflanzungstriebes,
zu konfrontieren.
Es sei allerdings dahingestellt, warum dieser Turm in fünf Etagen
zerlegt wurde. Sollten diese Stockwerke Epochen entsprechen? Oder plädiert
Schwager einfach für die Miniaturisierung der Monumentalität?
Eventuell beides. Man landet immerhin auf dem Boden der Tatsachen, wo
Binsenwahrheiten als Lügen entlarvt werden. Auf den asymmetrischen
Schachbrettern des 21. Jahrhundertes sind auch die mächtigsten Türme
zu Bauernopfern geworden. Und trotzdem geht die Rochade von Traum und
Trauma weiter, zumal die Uhr tickt. Der Turm ist aber deshalb sterblich,
weil er lebendig ist. Eine ebenso fesselnde wie emanzipierende Paradoxie,
die jedwedem Irdensohn innewohnt. Denn der Turm ist schließlich
ein Mensch, nichts mehr und nichts weniger.
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