Gut zwölf Wochen
lang beherbergt das Rudolf-Steiner-Haus Hannover einen zwölfteiligen
Bilderzyklus, dessen einzelne großformatige Bilder sich als Türen
zum Kosmos verstehen; Türen, durch die der Betrachter aus der Enge
des in Einseitigkeiten zersplitterten Raumes eintreten kann in die umfassende
Weite einer höheren Welt. Das Bild der Tür begegnet uns auch
in Rudolf Steiners "Mein Lebensgang", wenn er sich erinnert
an das Durchschreiten von Türen (in seinem Fall allerdings von der
anderen Seite her), das sein Eintritt in den geselligen Verkehr der Weimarer
Gesellschaft damals von ihm erforderte:
"Ich stand im lebhaftesten Verkehre; aber ich mußte in jedem
einzelnen Falle aus meiner Welt wie durch eine Türe in diesen Verkehr
eintreten. Das ließ mir die Sache so erscheinen, als ob ich jedesmal,
wenn ich an die Außenwelt herantrat, einen Besuch machte. Das aber
hinderte mich nicht, mich mit lebhaftestem Anteile dem hinzugeben, bei
dem ich zu Besuch war; ich fühlte mich sogar ganz heimisch, während
ich zu Besuch war. So war es mit Menschen, so war es mit Weltanschauungen.
Ich ging gerne zu Suphan, ich ging gerne zu Hartleben. Suphan ging nie
zu Hartleben; Hartleben ging nie zu Suphan. Keiner konnte in des anderen
Denk- und Gefühlsrichtung eintreten. Ich war sogleich bei Suphan,
sogleich bei Hartleben wiezu Hause. Aber weder Suphan noch Hartleben kamen
eigentlich zu mir. Sie blieben auch, wenn sie zu mir kamen, bei sich.
In meiner geistigen Welt konnte ich keine Besuche erleben."
Als eine Einladung zu einem Besuch in dieser geistigen Welt wiederum lässt
sich dann der Vortragszyklus auffassen, in dem Rudolf Steiner gut zwei
Jahrzehnte später auffordert zu einer neuen Erhebung des menschlichen
Gedankens hin zum kosmischen Gedanken und damit zu einer Überwindung
aller Einseitigkeiten zugunsten eines höheren Ganzen:
"Die Welt lässt sich nicht von dem einseitigen Standpunkte einer
Weltanschauung, eines Gedankens aus betrachten, sondern die Welt enthüllt
sich nur dem, der weiß, daß man um sie herumgehen muß.
Genau ebenso, wie die Sonne, wenn wir die kopernikanische Weltanschauung
zugrunde legen, durch die Tierkreiszeichen geht, um
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zwölf verschiedenen
Punkten aus die Erde zu beleuchten, ebenso muß man nicht auf einen
Standpunkt….sich stellen, sondern man muß in der Lage sein, um die
Welt herumgehen zu können und sich einleben zu können in die
zwölf verschiedenen Standpunkte, von denen aus man die Welt betrachten
kann. Denkerisch sind alle zwölf verschiedenen Standpunkte voll berechtigt.
Nicht eine Weltanschauung gibt es für den Denker, der in die Natur
des Denkens eindringen kann, sondern zwölf gleichberechtigte, insofern
gleichberechtigte, als sich gleich gute Gründe vom Denken aus für
jede vorbringen lassen."
1914 in Berlin ist
dies gesprochen worden, und im Jahr 2014 knüpfen wir also ausgerechnet
mit einer Bilderausstellung an diese Vortragsreihe an. Die Möglichkeit
einer Auferstehung des Gedankens, der im Laufe der Philosophiegeschichte
seine kosmische Lebendigkeit verloren hat und hineingestorben ist in das
Geistig-Seelische des Menschen, leuchtet in ihr auf. Und wenn so der menschliche
Gedanke aus den Bildwelten alten Hellsehens sich allererst herausisoliert
hat zu Beginn der Philosophiegeschichte, - sollte da nicht gerade in den
abstrakten Bildwelten eines malerischen Zyklus, dessen Künstlerin
sich über Jahre hinweg mit Rudolf Steiners Zyklus beschäftigt
hat und mit Mario Bettis durch diesen angeregten "Zwölf Wege,
die Welt zu verstehen", sollte nicht in den abstrakten Bildern von
Anneli Schwager, die sich in der Sprache von Rudolf Steiner von diesen
zwölf Geistes-Tierkreisbildern hat bescheinen lassen, die Möglichkeit
verborgen sein, Durchgangstore für den menschlichen Gedanken zu sein,
der sich wieder hinaufhebt zu seinem kosmischen Ursprung? Diese Bilder
(mit Ausnahme vielleicht des symbolistisch anmutenden Dezember-Bildes),
die kaum Erinnerung hervorrufen an das, was man gesehen hat im Reich der
Form, und die insofern sich jeder vorschnellen Namengebung verweigern,
bieten die Chance, den Gedanken aus den Niederungen eines kraftlosen Nominalismus
herauszuheben und wieder in Beziehung zu bringen mit dem Reich der Geister
der Bewegung.
Die Künstlerin Anneli Schwager ist 1959 in Frankfurt geboren, hat
viele Jahre ihrer Kindheit und Jugend in der Weite der Insel Sylt verleben
können und ist dann nach einer dreijährigen Ausbildung in der
Loheland-Gymnastik Meisterschülerin des Künstlers und Anthroposophen
Beppe Assenza geworden. Heute lebt sie als frei schaffende Künstlerin
in Lebens-und Werkgemeinschaft mit Hans Stein, ebenfalls Künstler,
in Berlin. Beide sind auch Leiter von Malkursen in verschiedenen Zusammenhängen.
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Anneli Schwagers Bilder des kosmischen Zyklus, die auf kraftvollen Farbkontrasten
beruhen, zeigen eine sehr eigenwillige Formsprache. Wer zurzeit in den
großen Saal des Rudolf- Steiner-Hauses eintritt und sich unvermutet
den kraftvoll-expressiven Bildwelten gegenübersieht, kann zunächst
wie erschlagen sein. Andererseits lässt sich der Herausforderung
willig begegnen in der Bereitschaft, sich der rätselhaften Formensprache
selbst als Lösung gegenüberzustellen. Dazu aber reicht kein
schneller Blick: Ein langes suchendes Sich-Einschauen ist nötig.
Wer mag, kann hierfür Hilfestellung empfangen aus den begrifflichen
Ausführungen, die die Künstlerin den Bildern beigesellt hat.
Wer ohne diese Hinweise auskommen will, macht sich allein auf den Weg.
Bei der Vernissage am 7. Februar in Anwesenheit der Künstlerin sammelten
sich immer wieder Grüppchen von gemeinsam Betrachtenden vor den einzelnen
Bildern, um sich in gegenseitigem Austausch suchend einzuleben in die
herausfordernden Bildwelten. Dabei wurde erfahren, dass die Wahrnehmung
des Blickes des anderen den eigenen Blick bereichern und verwandeln half.
So lag es nahe, sich zu einer ersten gemeinsamen Bildbetrachtung mit dem
Kunstlehrer der Oberstufe der FWS Hildesheim am Sonntag, den 2. März,
11.15 Uhr, zu verabreden, der hoffentlich weitere folgen werden.
Als Beiwerk zum großformatigen Zyklus gesellen sich in dieser Ausstellung
in Fluren und Treppenaufgang zahlreiche kleinformatige Aquarelle, Gouachen
und Graphiken, die ebenso wie Postkarten, Werkbroschüren und das
großformatige Werkbuch der Künstlerin "Die Komposition
im Bild", auf Nachfrage im Sekretariat erworben werden können.
Anneli Schwager wird in Zusammenarbeit mit Cordelia Böttcher, Priesterin
der Christengemeinschaft, ein Werkbuch zu diesem Zyklus herausgeben, in
das ggf. die Ergebnisse solcher Prozesse der Betrachtung mit aufgenommen
werden sollen.Nicht zuletzt deswegen sei dieser besonderen Ausstellung
eine Vielzahl von Besuchern gewünscht, die sich suchend in Form von
Arbeitsgruppen auf den Weg machen wollen!
Susanne Graewe
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